Reportage in der Mallorca Zeitung Nr. 1.247 vom 28. März 2024

Diagnose: Burn-out

Vida Libre in der Presse

Folgende Reportage zum Thema Burnout-Behandlung bei Vida Libre wurde am 24. März 2024 in der Mallorca Zeitung veröffentlicht.


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Doppelte Distanz

von Alexandra Wilms


Weg vom Alltag, weg von den Problemen: Immer mehr Deutsche kommen zur Burn-out-Behandlung nach Mallorca. Oder wagen hier direkt einen Neuanfang


„Am Ende war es so schlimm, dass ich nicht einmal mehr Autofahren konnte“, erinnert sich Dörte S. Die Gastronomin aus Düsseldorf erlebte Panikattacken, Schwindelanfälle und Selbstmordgedanken – Diagnose Burn-out. Hilfe fand sie auf Mallorca. Eine befreundete Ärztin hatte ihr vom Projekt Vida Libre erzählt, das die studierte Psychologin Coletta Damm seit über 15 Jahren auf einer Finca in Felanitx betreibt. Hier erhalten Menschen Unterstützung, die „vor lauter Arbeit sich selbst aus den Augen verloren haben“, wie Damm es formuliert.

Und von denen gibt es immer mehr. Die Diagnosehäufigkeit für Burn-out hat sich der Krankenkasse AOK zufolge in den vergangenen zehn Jahren drastisch erhöht. Von eigenen Zahlen ausgehend schätzen die Experten der Krankenkasse, dass es in Deutschland im Jahr 2022 rund 216.000 Burn-out-Betroffene mit insgesamt rund 5,3 Millionen Krankentagen gab. „Das Burn-out-Syndrom ist nichts Neues, wird aber meines Erachtens vom allgemeinen Denken der ständigen ‚Selbstverbesserung‘ gefördert“, so Coletta Damm, die die Leitung von Vida Libre mittlerweile an ihre Tochter Olivia übergeben hat. Gemeinsam mit 15 Mitarbeitern hält der Familienbetrieb für Burn-out-Betroffene nicht nur Erholung in ruhiger und ländlichidyllischer Atmosphäre bereit: Die Gäste erlernen auch Strategien, wie sie Leben und Alltag künftig gestalten können. Geboten wird ein durchstrukturierter Tagesablauf mit Yoga, Coaching, Sport, Musik-, Tier- und Kreativtherapie, Massagen und Zeit für sich selbst. „Es ist gut, dass der Rhythmus vorgegeben wird, weil man das selbst ja gar nicht mehr kann“, erzählt Dörte S.

Dass all dies auf Mallorca stattfand, sei für sie damals ein entscheidender Punkt gewesen, sagt Dörte S.: „Aus meiner eigenen Zwangswelt herauszukommen, war für mich extrem wichtig“. Therapeutin Damm pflichtet bei: „Vielen hilft es sehr, erst einmal von allem weg zu sein.“ Hinzu kommt die Attraktivität Mallorcas: Viele ihrer Gäste befänden, dass schon bei der Landung die Entspannung anfange. Und das Konzept Insel als Erholungsort für die Selbstfindung spiele ebenfalls eine Rolle. Zwei bis drei Wochen dauert es durchschnittlich, bis die Betroffenen sich wieder allein in den Alltag zurück trauen. Geheilt sei man dann noch nicht, aber immerhin so weit aufgestellt, dass man sich langsam selbst „wieder rausarbeiten kann“, sagt Dörte S. Das familiäre Ambiente – maximal vier Gäste finden gleichzeitig auf der Finca in Felanitx Unterkunft – und das engagierte Personal trügen zur schnellen Erholung bei, eine Nachbegleitung per Telefon oder Videocall bewahre vor Rückfällen. Das hat seinen Preis: Die ersten zwei Wochen in Vida Libre kosten rund 6.900 Euro. Wobei Burn-out-Erholung auf Mallorca auch noch viel, viel teurer geht. Im Internet finden sich exklusive Retreats, eines davon beinhaltet beispielsweise neben einer Vielzahl verschiedener therapeutischer Behandlungen in einer exklusiven Privatvilla auch einen persönlichen Manager und einen eigenen Koch. Kostenpunkt für eine Woche Aufenthalt: bis zu 87.000 Euro.

Im Vergleich dazu ist eine Intensivtherapie bei Anja Dein in Palma erschwinglicher. Die Diplom-Psychologin und Therapeutin betreibt das von ihr gegründete Zentrum Anímate Psychologie und bietet dort unter anderem Burn-out-Folgetherapien nach stationären Aufenthalten in Kliniken. Eine Woche Intensivtherapie mit drei je zweistündigen Sitzungen kostet bei ihr 900 Euro. Durch ihre Zusammenarbeit mit den Oberberg-Klinken, einem Verbund privater Fachkliniken im Bereich Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, verzeichnet sie eine rege Nachfrage von Patienten aus Deutschland. „Viele haben hier Bekannte oder ein eigenes Domizil“, sagt die 60-Jährige, die auf ihrer Website auch die Planung eines Aufenthaltes für Therapiebedürftige anbietet, die keine eigene Bleibe auf Mallorca haben. Anja Dein spricht beim Therapie-Aufenthalt auf der Insel von einer doppelten Distanz: Der zum gewohnten Umfeld und der zum Problem selbst. „Burn-out entsteht durch Verhaltens – muster, durch extrem hohe Anforderungen an sich selbst, die auch durch unsere heutige Zeit bedingt sind. Andauernde Stressbelastung mit fehlenden Ruhephasen führen zu Frühsymptomen wie sozialem Rückzug, verändertem Essverhalten oder Reizbarkeit.“ Auch erhöhter Alkoholkonsum gehe oft mit einem beginnenden Burn-out einher.

ZUSATZPROBLEM ALKOHOL

Eine Beobachtung, die Coletta Damm von Vida Libre bestätigen kann. Tatsächlich bietet die Psychologin auf ihrer Finca neben der Burnout- Behandlung explizit Aufenthalte zum Alkoholentzug an. Bei vielen ihrer Gäste, die zum Entzug kämen, entdecke sie im Zuge der Therapie dann auch einen Burn-out. „Oft beginnt es als Entlastungstrinken, um besser einschlafen zu können oder gelassener zu werden.“ Die Weltgesundheitsorganisation WHO führt Burn-out seit 2022 in ihrer Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) als berufliches Phänomen, nicht als medizinischen Zustand. Der Definition zufolge ist Burn-out ein Syndrom, das „als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz konzipiert ist, der nicht erfolgreich bewältigt wurde“ und kennzeichnet sich durch Erschöpfung, zunehmende mentale Distanz zur Arbeit und verminderte berufliche Effizienz. Früher sei Burn-out oft als Erschöpfungsdepression diagnostiziert worden, berichtet Damm. Sie hadert mit der WHO-Definition, die Burn-out nur als berufliches Phänomen einstuft. „Es betrifft vor allem Menschen mit hohen Anforderungen an sich selbst, die immer alles zu 100 Prozent perfekt machen wollen. Das kann genauso eine Hausfrau sein wie ein Manager.“ Etwa 70 Prozent ihrer Gäste seien Selbstständige, die zeitnah und schnelle Hilfe bräuchten. So auch Dörte S.: „Ich hatte damals keine Zeit, mich ein halbes Jahr krankschreiben zu lassen,“ erinnert sie sich.

Therapeutin Anja Dein hat ebenfalls vor allem Freiberufler als Patienten. „Das ist heute keine Managerkrankheit mehr“, berichtet sie. Neben der Intensivtherapie für Burn-out-Betroffene aus Deutschland bietet Dein in Palma auch Vorsorge-Workshops an – unter anderem für Sanitätspersonal der Balearen-Regierung. Von Heimpersonal, Sozialarbeitern oder Pflegern im öffentlichen Dienst höre sie oft, dass selbst Grundbedürfnisse wie der Gang zur Toilette oder ein Glas Wasser gegen den Durst verdrängt und erst Stunden später befriedigt würden. „Wer kontinuierlich die eigenen Bedürfnisse übergeht, nimmt sie irgendwann gar nicht mehr wahr.“ Um zu verhindern, dass es zum Burn-out kommt, erklärt Dein den Einheimischen, welche ersten Anzeichen es gibt und wie man auf diese reagieren kann, beispielsweise mit Atmungs- und Entspannungsübungen. Ihrer Erfahrung nach wird der Begriff Burn-out „in Spanien nicht so viel in den Mund genommen, hier spricht man eher von Depression“. Doch ihre persönliche Einschätzung, dass die Menschen hierzulande häufiger an Burnout leiden als in Deutschland, untermauert eine EU-weite Studie: Demnach haben 55 Prozent aller Spanier bereits einen Burn-out erlitten oder standen kurz davor, im Vergleich zu 50 Prozent bei den Deutschen. Das dürfte auch daran liegen, dass das Hotel- und Gaststättengewerbe zur größten Risikogruppe gehört: 80 Prozent des Personals gab 2019 laut der Website statista.com an, sich mit der eigenen Arbeitsbelastung überfordert zu fühlen, dicht gefolgt von Fabrikarbeitern und Sanitätspersonal. Dörte S. hat nach der Therapie auf Mallorca wohl nicht zuletzt deshalb ihren Gastrobetrieb geschlossen und auf einen anderen Job umgesattelt. „Ich habe mich nach der Diagnose damals für mich selbst geschämt, weil ich dem Druck nicht standgehalten habe“, sagt sie. Der Umgang mit der Diagnose ist den auf Mallorca tätigen Therapeutinnen zufolge unterschiedlich. Während Damm den Eindruck hat, dass Burn-out mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert, teils sogar „hochangesehen“ sei, berichtet Dein auch von Patienten, die in Deutschland im öffentlichen Leben stehen und deshalb größten Wert auf Vertraulichkeit und Diskretion legen. Auch aus diesem Grund sei Mallorca als Behandlungsort beliebt: Der Urlaubscharakter der Insel biete die ideale Voraussetzung, eine Intensivtherapie als Ferienaufenthalt zu kaschieren.

DAUERLÖSUNG MALLORCA

Für einige wird Mallorca gar ganz zum Ausweg aus dem Burn-out. Der erfolgreiche Start-up- Seriengründer Christian Reber ist, wie das Managermagazin „Capital“ in seiner aktuellen Ausgabe schreibt, im vergangenen Herbst „vor der Erschöpfung geflohen“ und mitsamt Familie auf die Insel gezogen, um nach Zusammenbruch und Therapie in Deutschland hier ein ruhigeres Leben zu führen. Und auch manch ein Normalverdiener versucht hier den Neuanfang. Dirk Meinhardt kam im Mai 2022 für eine lange Auszeit. Der gelernte Kfz-Servicetechniker hatte zuvor einen Burn-out erlitten, die Reha in Deutschland habe ihm aber nicht viel gebracht – neben dem Zusammenbruch aus beruflichen Gründen war auch seine Ehe zu Bruch gegangen, und Mallorca war „weit genug weg“ von Scheidung und der Leere nach dem Verlust des Jobs, der ihn überhaupt erst krank gemacht hatte. Er heuerte auf der Kulturfinca in Son Bauló für „Urlaub gegen Hand“ an, war dort als Mädchen für alles im Austausch für freie Kost und Logis tätig. Ganze 18 Monate blieb er in Lloret de Vistalegre. „Ich war endlich wieder frei, konnte ohne Druck wegen Umsatz oder Personal selbstständig Entscheidungen treffen.“

Raus in die Natur, sich selbst wieder kennenlernen und nicht mehr leben, um zu arbeiten – all dies gelang ihm während seines Aufenthaltes auf der Insel. „Ich habe gelernt, auf mich selbst zu schauen, auch mal Nein zu sagen und nicht immer alles 100-prozentig schnellst- und bestmöglich zu erledigen“, so der 51-Jährige. Zwar musste er im vergangenen Herbst wieder zurück nach Heilbronn, doch dort will er auf keinen Fall bleiben: „Ich verfalle hier viel zu schnell in alte Muster.“ Auch die schlechte Stimmung in Deutschland beeinträchtige ihn. „Wenn man mal 18 Monate auf Mallorca gelebt hat, dann will man nicht mehr zurück.“ Deshalb ist Meinhardt nun von Deutschland aus auf Jobsuche auf Mallorca, um sich hier eine dauerhafte Existenz aufzubauen. Zum Wohle seiner geistigen Gesundheit.


Quelle: Mallorca Zeitung Nr. 1.247 vom 28. März 2024




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